Der unwirkliche Zellaktivator
Der unwirkliche Zellaktivator
In der Galaktopolitik geht's drunter und drüber. Die Akonen versuchen, ihren Machtbereich auf Kosten der Arkoniden auszuweiten. Die Arkoniden können sich nur mit halber Kraft wehren, weil ihre Kommandozentrale einschließlich des Oberkommandierenden, Atlan, in der Toten Zone 2 gefangen sitzt. Das Galaktikum ist handlungsunfähig, weil die in eine proarkonidische und eine proakonische Partei gespaltenen Ennox jede Menge Sand ins Getriebe schaufeln. Grund genug also zu allgemeiner Aufregung. Aber den wahren Wissenschaftler lässt das alles kalt. Er interessiert sich für seine Forschung, insbesondere für das Problem, das seit neuestem wieder brandaktuell ist: die negative Strangeness.
Zwei Objekte mit negativer Strangeness sind bis jetzt bekannt geworden. Da ist einmal das 21flächige Prisma, an beiden Enden mit Pyramiden ausgestattet, das Atlan in die Hände fiel, während er die Spiegelung auf Arkon II inspizierte. (Durch einen Ennox-Boten gelangte dieser Gegenstand kurze Zeit später in Myles Kantors Besitz.) Und dann gibt es noch den ausgeglühten Zellaktivator, den Icho Tolot im Januar 1172 in der archäologischen Grabungsstätte auf Lingora fand.
Vom Pyramidenprisma weiß man nicht, woher es kommt. Auch widersetzt es sich allen analytischen Bemühungen, selbst wenn sie mit den modernsten Geräten durchgeführt werden, die die galaktische Wissenschaft derzeit zu bieten hat. Das Prisma will die Ursache seiner negativen Strangeness nicht preisgeben.
Anders steht's mit dem Zellaktivator. Dessen Geschichte ist wenigstens in Umrissen bekannt. Es ist eine unwirkliche Geschichte. Sie hat ein Phänomen zum Inhalt, vor dem alle anständigen Physiker und Kosmologen sich fürchten wie der Vampir vorm Knoblauch: ein Zeitparadoxon. Als Icho Tolot das ausgeglühte Gerät im Januar 1172 auf Lingora fand, da hatte dieses schon seit fast elftausend Jahren dort im Dreck gesteckt - seit dem Tag nämlich, als die tefrodische SAMUR und die arkonidische RIUNAN sich in blindwütigem Gefecht gegenseitig vernichteten. Nun weiß man aber von dem lingorischen Fund, dass es sich dabei um den Zellaktivator entweder Fellmer Lloyds oder Ras Tschubais gehandelt haben muss. Beide Mutanten kamen im Jahre 1169 auf der Welt Compol ums Leben. Tschubai und Lloyd erhielten ihre Zellaktivatoren im Jahre 2326 alter Zeitrechnung. Von da an bis zum Jahr 1173 NGZ (4760 AD) muss also einer der beiden Aktivatoren doppelt existiert haben - einmal im Schlamm von Lingora, ein zweites Mal am Halse seines Trägers bzw. in Icho Tolots Händen.
In Fachkreisen gibt es keinen Zweifel daran, dass das Zeitparadoxon etwas mit der negativen Strangeness zu tun hat. Schon gegen Ende des 20. Jahrhunderts alter Zeitrechnung hatten Theoretiker wie Guth, Gott et al. spekuliert, wie mit Hilfe von cosmic strings Zeitschleifen gebaut und die bis dahin für unanfechtbar gehaltenen Gesetze der Kausalität außer Kraft gesetzt werden könnten. Die Theorie führte damals zu keinem brauchbaren Ergebnis. Im Laufe der Jahrhunderte haben sich immer wieder Wissenschaftler mit ihr beschäftigt. Jetzt wird sie plötzlich hochaktuell; denn nur mit Hilfe einer Zeitschleife lässt sich erklären, was dem Zellaktivator widerfahren ist.
Myles Kantor spricht nicht mehr von »Cosmic strings«. Er kennt nur Zustände. Jeder Zustand repräsentiert ein Universum. Es gibt Zustände, deren Strangeness-Werte sich nur um einen so winzigen Betrag voreinander unterscheiden, dass Quanteneffekte auftreten. Es gibt eine Unschärferelation, die wahrscheinlich bald Myles Kantors Namen tragen wird, wonach Zustände einander so eng benachbart sein können, dass nicht mehr zuverlässig festgestellt werden kann, ob ein bestimmtes Objekt dem einen Zustand oder dem andern angehört. Wenn dem aber so ist, dann schlägt jeder Versuch, das Objekt zu lokalisieren, fehl. Dann muss auch in Kauf genommen werden, dass das Objekt gleichzeitig in zwei eng benachbarten Zuständen existiert.
Das sind vorläufig noch vage Ansätze, aus denen sich vielleicht einmal eine brauchbare Theorie entwickeln wird. Auf jeden Fall scheint es, dass die galaktische Wissenschaft aufgrund der Entdeckung der negativen Strangeness eine sehr gute Chance hat, ein völlig neues Verständnis des Multiversums zu entwickeln.