Methoden der Unterdrückung

Aus Sokradia
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METHODEN DER UNTERDRÜCKUNG

So wenig wir über das Volk der Cantaro wissen, so ist uns mittlerweile doch eines klargeworden: Die Cantaro beherrschen offensichtlich die Milchstraße mit eisernem Griff; die Völker der großen Sterneninsel leben unter ihrem Joch auf einem Niveau, das nur noch um Haaresbreite von der Sklaverei entfernt ist. Wir erinnern uns der großen, blühenden Zivilisationen, die einst in der Milchstraße den Ton angaben: der Akonen, Arkoniden, Haluter, Terraner und wie sie sonst noch heißen mögen. Wir erinnern uns daran, dass es den Sternfahrenden Nationen der Milchstraße schließlich doch gelungen war, zu innerer Eintracht zu finden und das Galaktikum zu gründen, das für alle sprach. Und dann fragen wir uns, wie die Entwicklung, die zum heutigen Stand der Verhältnisse führte, eigentlich hat zustande kommen können. Mit welchen Mitteln haben die Cantaros gearbeitet? Wie konnte es ihnen gelingen, das mächtige Arkon, das strahlende Blaue System, die große Nation der Blues und die von unermüdlicher Initiative beseelte Liga Freier Terraner in die Knechtschaft zu zwingen?

Das Phänomen der Unterdrückung ist so alt wie das intelligente Wesen selbst. Und wenn wir genau hinsehen, stellen wir fest, dass die Methoden der Unterdrückung sich über die Jahrmillionen hinweg kaum geändert haben. Sie wurden verfeinert, gewiss und durch die Anwendung immer neuerer Techniken stetig wirksamer gemacht. Aber die Prinzipien sind im Grunde genommen immer noch dieselben wie damals, als die Gottkönige ihre Untertanen im Dunkel der Dummheit heranwachsen ließen und ihnen jeden Gedanken an Widerstand austrieben, indem - sie das ganze Volk mit frivolen Riesenprojekten beschäftigten. Über eines sind wir uns im Klaren: Es muss einen Anstoß gegeben haben, eine Art Initialzündung, die die Widerstandsfähigkeit der Milchstraßenvölker a priori verminderte, so dass die Cantaro überhaupt Fuß fassen konnten. Wir suchen diese Initialzündung irgendwo im Umfeld der Großen Katastrophe, die sich vor fast 700 Standardjahren im Wirkungsbereich DORIFERS ereignete. Wir wissen, dass etwa um diese Zeit die Kansahariyya zerfallen sein muss und können uns vorstellen, dass dem Galaktikum ein ähnliches Schicksal zuteilgeworden ist. irgendeine fremde Kraft muss damals auf die Bewusstseine nicht nur der Galaktiker eingewirkt haben, die sie verwirrte und zur Aufgabe des inneren Zusammenhaltes veranlasste. Natürlich ist dies alles nur Spekulation. Verbindliches werden wir erst sagen können, wenn wir in Erfahrung bringen, was sich damals, zur Zeit der Großen Katastrophe, wirklich abgespielt hat.

Eine der Methoden, die die Cantaro mit großem Geschick anwenden, ist die Verdummung der Bevölkerung. Im Zeitalter der Hypno- und Suggestivschulung war das zu Beginn gewiss kein leichtes Unterfangen. Zuerst musste das Empfinden geweckt werden, dass Wissen und Bildung nicht wirklich zur Erhöhung der Lebensqualität beitrugen. Vermutlich leisteten die Nachwehen der Großen Katastrophe dabei ein wenig Hilfestellung. Die Katastrophe wurde ausgelöst - so könnte man es demagogisch hinstellen - durch zu viel Wissen. Der Abbau der Ausbildungsmöglichkeiten wurde sicherlich behutsam vorangetrieben; aber immerhin hatten die Cantaro Jahrhunderte Zeit, ihr Ziel zu erreichen. Unwissen erzeugt Mangel an Kritikfähigkeit. Den Unwissenden kann leichter ein X für ein U vorgemacht werden. Wer nicht mehr lesen kann, bezieht seine Information aus Bildern und gesprochenen Worten. Bilder sind ungleich wirksamer in der Informationsvermittlung als Gelesenes. Die Machthaber fanden es leicht, die Bilder so zu gestalten, dass sie bei den Zuschauern die gewünschte Wirkung erzielten. (Die gruselige Darstellung einer Welt, deren Bewohner nicht lesen können, bringt Walter Tevis in seinem Mockingbird, zu deutsch "Die Letzten der Menschheit".)

Aber auch der Dumme wird widerspenstig, wenn es ihm schlecht geht. Man muss dafür sorgen, dass er zufrieden ist. Auf vielen von den Cantaro beherrschten Welten herrscht Überfluss. Die Arbeit wird von Robotern erledigt. Das intelligente Wesen - die Bezeichnung sei hier als Gattungsbegriff gebraucht - verfällt der Trägheit, da es sich um seinen Unterhalt nicht mehr zu kümmern braucht. Wer will den Funken des Widerstands in der Seele einer Kreatur zünden, die unwissend, satt und träge ist? Die Zahl der Völker in der Milchstraße ist groß, der Unterschied der Mentalitäten beachtlich. Die Methoden der Unterdrückung müssen sich diesem Umstand anpassen. Verdummung ist kein Allheilmittel. Es gibt Naturelle, die so voller Tatkraft stecken, dass ihnen auch auf dem Weg über das Unwissen die Kunst des Träge Seins nicht beigebracht werden kann. Solchen Wesen muss man Beschäftigung geben. Man muss ihnen klarmachen, dass ihr einziger Lebenszweck darin besteht, ein gewaltiges Projekt zu vollenden. Das ganze Volk hat an diesem Projekt mitzuarbeiten und jeder noch so geringe Fortschritt gibt dem Volk das Recht, auf seine Leistung stolz zu sein. So wird eine Nation von Arbeitsbienen geschaffen, die nichts mehr anderes im Sinn hat als die Arbeit am großen „völkischen“ Vorhaben. Befriedigung des angeborenen Tatendrangs verbunden mit dem Appell an den nationalen Stolz schafft eine Atmosphäre, an der die Widerspenstigkeit erstickt. Allein in der Geschichte - der Menschheit gibt es zahlreiche Beispiele, die diese These unterstützen.

Aber das Spektrum der Möglichkeiten reicht noch weiter. Für jede Zivilisation der Milchstraße fanden die Cantaro - so erscheint es uns - die passende Methode.Die Obrigkeitsgläubigen wurden mit einer Bürokratie gesattelt, die jeden ihrer Schritte, jeden ihrer Atemzüge überwachte und jeden Versuch, Eigeninitiative zu entwickeln, im Keim erstickte. Den zur Religiosität Neigenden wurden mächtige Götter vorgegaukelt, die ihren Willen durch bevollmächtigte Priester kundtaten. Götter gefälliges Verhalten wurde belohnt, der Unbelehrbare bestraft. Und schließlich gab es da noch diejenigen, die schon widerspenstig zur Welt gekommen waren und sich überhaupt nicht zähmen lassen wollten. Sie versorgte man mit Nahrung, die ihre Fruchtbarkeit abbaute. Es ist unbekannt, wie viele galaktische Völker es gibt, deren Ausrottung unmittelbar bevorsteht. So sieht es aus im größten Polizeistaat der galaktischen Geschichte. In der Unterjochung der Milchstraßenvölker haben die Cantaro wahres Genie bewiesen. Aber Unzufriedenheit und der Wille zum Widerstand sind Phänomene, die auch auf statistische Weise entstehen. Unter Billionen von Lebewesen — gleichgültig wie dumm, wie chauvinistisch, wie obrigkeitsgläubig oder religiös sie sein mögen - lassen sich allemal ein paar Hunderttausend bis Millionen finden, die mit ihrem Dasein nicht zufrieden sind und sich auflehnen. Hängt an diesen die Hoffnung der Milchstraße für eine bessere Zukunft?

Quelle

Fluchtziel Gevonia